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mehr lesenReport – Zukunftskonferenz Health.AI 13.06.2024
„Technik und Systeme dort nutzen, wo sie sinnvoll, nachhaltig und unterstützend sind“ war der große gemeinsame Nenner bei der Zukunftskonferenz 2024 von Health.AI. Rund 50 Expert:innen aus Medizin, Technologieforschung und Gesundheitsbranche, darunter auch zwei Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates von Health.AI, kamen am 13. Juni zusammen und diskutierten über die Herausforderungen und Chancen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen.
Begrüßung und Eröffnung
Julia Hartnik, Netzwerkkoordinatorin von Health.AI, eröffnete die Veranstaltung mit einem Ausblick auf die großen internationalen Technologieentwicklungen und Trends, deren Bedeutungen und Chancen für das regionale Innovationsgeschehen wichtige Schlüsselthemen der Konferenz darstellten. Sie betonte insbesondere den Einfluss der fünf „Big Tech“-Unternehmen (Amazon, Apple, Microsoft, Google und Oracle), deren Cloud-Dienste und Wearables sowie firmeneigenen Gesundheitsdienstleistungen zukünftig wohl eine immer größere Rolle spielen werden.
Impulsvortrag von Esko Reinikainen
Bereits der erste Impulsvortrag „Perspectives for Thinking about AI“ von Esko Reinikainen von Reinikainen Consulting machte mit seinen interaktiven Elementen die unterschiedlichen persönlichen Positionen der Zuhörer:innen sichtbar. Ob Zustimmung oder Ablehnung – klar ist, dass der Einsatz von Technologie insbesondere in so sensiblen Bereichen wie der Gesundheitsbranche auch von Emotionen begleitet wird. Was benötigen wir tatsächlich, welches Werkzeug unterstützt uns und sichert die eigene Datensouveränität und welche vermeintlichen Hilfsmittel erschweren eher die eigene Gesundheitsversorgung?
Ausgehend von Daten als Grundlage aller Wertschöpfung durch künstliche Intelligenz stellte Reinikainen die Monetarisierung von Gesundheitsdaten als Innovationstreiber in den USA vor und warf hierbei die Frage auf, welche Strategie die EU aktuell verfolgt. Im Hinblick auf diese Frage kann die Unterscheidung in Narrow AI und Wide AI hilfreich sein. Narrow AI konzentriert sich auf anwendungsspezifische Aufgaben sowie das Feintuning bestehender Modelle anhand qualitativ hochwertiger, möglicherweise nicht öffentlich zugänglicher Datensätze, die in der EU in vielen Bereichen zu finden sind. Wide AI hingegen bezieht sich auf die Entwicklung breit anwendbarer (generativer) KI-Lösungen, die Bereitstellung multi-modaler Funktionen sowie den gezielten, zum Teil eigenständig von KI gesteuerten Einsatz verschiedener Narrow-AI Lösungen.
Jedoch veranschaulicht sein treffender Vergleich mit der Entwicklung des Smartphones auch den aktuellen Stand im Bereich KI: Wir befinden uns hier noch auf dem Niveau der mobilen Tastentelefone. Das größte Potential für die weitere Entwicklung sieht Reinikainen in der interdisziplinären Zusammenarbeit, gerade in den besonders interessanten Trendfeldern prädiktive Analytik, Natural language processing, personalisierte Medizin, synthetische Biologie und Optogenetik.
World Café
In den anschließenden Tischrunden des World Café wurden die vorgestellten Trends und Perspektiven von den Teilnehmenden aktiv aufgegriffen und regionale Bezüge hergestellt. Fragestellungen zu aktuellen medizinischen Forschungsthemen, möglichen Einsatzbereichen von KI und Wertschöpfungsperspektiven in der Region ermöglichten es, chancenreiche Anwendungsfälle für das Health.AI-Netzwerk zu erarbeiten und zu diskutieren. Dabei wurden sowohl persönliche Erfahrungen als auch Sichtweisen der Beteiligten einbezogen. Die Diskussionen umfassten darüber hinaus die regionalspezifischen gesellschaftlichen Auswirkungen und die notwendigen Schritte, um vielversprechende technologische Ansätze zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung auf den Markt zu bringen. Der Wissensaustausch und die Weiterentwicklung der Ideen wurden noch gefördert durch die regelmäßige Rotation der Teilnehmenden und den damit verbundenen Wechsel der Gesprächspartner:innen und Gesprächsthemen.
Vorträge der Mitglieder des wissenschaftlichen Beirat von Health.AI
Im Anschluss sprach Dr. h.c. Helmut Hildebrandt, Vorstandsvorsitzender der OptiMedis AG, in seinem Vortrag über regionale Transformationslösungen und digitale Unterstützungsmöglichkeiten in der Gesundheitsversorgung. Eingehend auf die zunehmende Belastung des Gesundheitssystems durch den wachsenden Mangel an Fachkräften und eine steigende Krankheitslast, stellte er ein regionales Managementkonzept vor, das auf die Koordination, Motivation und Integration verschiedener Teilbereiche abzielt. Dazu gehören die Vernetzung lokaler Akteure, die Sicherung der wohnortnahen Versorgung, digitale und telemedizinische Lösungen, Case Management und Beratung (zum Beispiel durch Gesundheitskioske und Lots:innen), betriebliches Gesundheitsmanagement, die Zusammenarbeit mit einer aktiven Bevölkerung, datenbasierte Interventionsplanung und Evaluation sowie Versorgungs- und Präventionsprogramme. Durch der Implementierung dieser Maßnahmen sieht Dr. h.c. Hildebrandt große Chancen, den Herausforderungen im Gesundheitswesen wirksam begegnen zu können.
Dass Iteration und die Einbeziehung von Nutzenden elementar für den Erfolg in der Anwendung sind, war Konsens im Netzwerk. Wie dies erfolgreich umgesetzt werden kann, welche Anreize notwendig sind und welche Verfälschungen durch die mangelnde Einbeziehung von Patient:innenvertretungen zustande kommen, erläuterte Prof. Dr. Martin Dietrich in seinem Vortrag „Innovation – Nutzer – Kommunikation. Warum tun wir nicht, was wir wissen? Oder: Warum wissen wir nicht, was wir tun?“.
Prof. Dr. Dietrich begann mit den Grundbausteinen für Innovationsideen: Kreativität und Humor und betonte, dass Bisoziation, als Fortführung der eindimensionalen Assoziation mit Durchbrechen der geistigen Routinen, der Schlüssel sei. Dieses Prinzip müsse Eingang in das Gesundheitswesen finden und Teil der charakteristischen Stufen der dort ablaufenden Innovationsprozesse werden – begonnen mit der Problemerkenntnis über die Ideenfindung, Selektion und Bewertung der Ideen bis hin zur strategischen und operativen Entwicklung und Einführung in den Markt. Neben technischen Analysen und Tests spielen die Anforderungen und das Feedback der Nutzenden hierbei eine entscheidende Rolle. Die Einbeziehung dieser spezifischen Aspekte in die Technologieentwicklung könne allerdings nur durch eine sehr hohe Kommunikationskompetenz erreicht werden. Prof. Dr. Dietrich plädierte für eine „integrierte Kommunikation“, die den gesamten Innovationsprozess iterativ begleitet und sich an der Ausformulierung eines guten Narratives und an Vorbildfunktionen orientiert.
Datenschätze
Alle Entwicklungen im Bereich der Künstliche Intelligenz drehen sich um eines: Daten. Tobias Greff vom August-Wilhelm Scheer Institut hob in seinen einführenden Worten zu diesem Thema insbesondere die Wertigkeit regionaler Daten-Cluster hervor – eine Chance für Health.AI aber auch die gesamte Großregion. Mit dem auch in der WIR!-Region vertretenen Netzwerk der Europäischen digitalen Innovationszentren (EDIH) steht ein Instrument zur Verfügung, das zur Stärkung der europäischen KMUs und des öffentlichen Sektors bei der digitalen Transformation beiträgt. Besonders betonte Greff auch das Potential von KI in der Unterstützung von Arbeitsprozessen und illustrierte durch beeindruckende Zahlen das große Wertschöpfungspotential dieser Technologien. Seine Empfehlung für das WIR!-Bündnis: Fokussierung auf qualitativ hochwertige, domänenspezifische Datenräume.
Dass bereits große Datenschätze dem Health.AI Netzwerk zur Verfügung stehen, konnten Melissa Schoeps vom Institut für digitale Gesundheitsdaten aus Rheinland-Pfalz mit den Daten des Krebsregisters Rheinland-Pfalz und einem Datenpool zur Corona-Impfdokumentation, Dr. Christine Kubulus von der Universität des Saarlandes/Universitätsklinikum des Saarlandes mit Daten aus dem net-ra Register zur Regionalanästhesie und Akutschmerztherapie und Prof. Dr. Andreas Keller vom PharmaScienceHub Saarland mit dem IMAGINE Datensatz zu Naturstoffen und deren Wirkung eindrucksvoll unter Beweis stellen. Viel Potential für die Entwicklung weiterer Projekte.
Gesetzliche Rahmenbedingungen – Schwerpunkte des EU-AI Act
Lizandra Beerwald von der Reusch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH ging in ihrem Vortrag aus juristischer Perspektive auf die Besonderheiten und Herausforderungen bei KI-basierten Medizinprodukten ein. In diesem Bereich finden verschiedene Regelwerke Anwendung, die jedoch teilweise widersprüchlich sein können. Ein Beispiel stellt der Umgang mit dynamischer KI dar, bei der in Frage steht, ob eine antizipierende Konformitätsbewertung auch mit dem Medizinproduktrecht vereinbar ist. Frau Beerwald stellte des weiteren spezifische Aspekte und die Auswirkungen des EU-AI-Acts auf laufende und geplante Projekte vor und erklärte die Kriterien zur Einstufung von KI-Technologien und die möglichen Folgen einer Hoch-Risiko-KI-Einstufung. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Miriam Schuh wurden im Anschluss die Rückfragen aus dem Publikum beantwortet.
Gemeinsam für die Zukunft
Zum Abschluss der Konferenz gaben Bündnissprecher Dr. Ralph Nonninger, Netzwerkkoordinatorin Julia Hartnik und der Vorsitzender der Health.AI eG Prof. Dr. Tobias Hartmann einen Überblick über den Status quo der erfolgten drei Projektaufrufe, den Aufbau der Health.AI Genossenschaft zur Verstetigung der Netzwerkaktivitäten und die bevorstehende Zwischenevaluation des Netzwerks durch das BMBF und gingen im weiteren mit Transparenz auch auf den Einfluss der aktuellen Haushaltssperre auf den Zeitplan und die Finanzlage bei der F&E-Förderung ein.
Die weiterhin engagierte Zusammenarbeit innerhalb des Netzwerks, die aktive Nutzung der Netzwerkstrukturen (u.a. des Health.AI-Hub und der Datenbank für Reallabore, Infrastrukturen und Kompetenzen) und der Rückgriff auf die Kompetenzen der Mitglieder bilden die Grundlage für gemeinsame Innovationen und stellen den Impulsgeber für einen Strukturwandel in der WIR!-Region dar. Das Netzwerkmanagement von Health.AI wird den interdisziplinären und qualitativ hochwertigen Austausch der beiden Konferenztage auch weiterhin vorantreiben und die Anregungen aus der Zukunftskonferenz 2024 in die strategische Planung und Entwicklung einfließen lassen.
Wir bedanken uns bei allen Akteuren, die zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben und freuen uns auf die gemeinsame Zukunft.